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HANDBUCH

DER

MATHEMATISCHEN UND TECHNISCHEN

CHRONOLOGIE

DAS ZEITRECHNÜNGSWESEN DER VÖLKER

DARGESTELLT VOX

F. K. GINZEL

PROFESSOE, STAND. MITGLIED DES KÜXKiL. PEEUSS. ASTRONOM. RECHENTNSTITUTS

I. BAND

ZEITRECHNUNG DER BABYLONIER

ÄGYPTER, MOHAMMEDANER, PERSER, INDER. SÜDOSTASIATEN

CHINESEN, JAPANER UND ZENTRALAMERIKANER

MIT 6 FIGUREN IM TEXT CHRONOLOGISCHEN TAFELN UND EINER KARTE

LEIPZIG

J. C. HINRICHS'scHE BUCHHAKDLUNG 1906

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Vorwort.

Eine zusammenfassende Darstellung- des Zeitrechnungswesens der Völker, welche sich auf dem durch die neueren Forschungen zugänglich gewordenen Material aufbaut, ist seit L. Idelee nicht mehr versucht worden. Ideleks ,. Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie" erschien vor 80 Jahren (1825 26) und beruht noch fast gänzlich auf den von den klassischen Schriftstellern auf uns gekommenen Nachrichten.

Als vor fünf Jahren Herr Prof. Haknack mich auf die dringende Notwendigkeit einer Neubearbeitung des iDELEESchen „Handbuchs" hinwies, Avar ich durch anderweitige astronomische Untersuchungen zwar mit dem Zeitrechnungswesen der Alten verschiedentlich in Be- rührung gekommen und hatte die Notwendigkeit einer Eenovierung- des „Idelee" oft gefühlt, aber Avelch große Ausdehnung die archäo- logischen Materialien haben, die von der Forschung seither aufge- häuft worden sind und bei einer Neubearbeitung des Gegenstandes herangezogen werden müssen, konnte ich noch nicht übersehen. Als ich nun an die Sammlung des Stoffes für diesen I. Band herantrat, welcher vornehmlich das Zeitreclinungswesen der Orientalen enthalten sollte, Avurde mir sehr bald klar, daß behufs einer Neudarstellung des Ganzen eine Umarbeitung des ,.lDELEir- den Zweck nichf erreichen Avürde. Die meisten Kapitel des iDELEEschen Werkes sind für die Jetztzeit sehr veraltet, und die Einführung des modernen Materials in diese alte Form würde wegen des großen Übergewichtes, welches man diesem Material gegenüber dem klassischen Fundament einräumen muß, einer einheitlichen Darstellung widerstrebt haben. Das moderne Material zAvingt uns nicht nur innerhalb der Darstellung der einzelnen Zeit- rechnungsarten zu neuen Gruppierungen des Stoffs, sondern fordert auch andere historische Gesichts])unkte über das Zeitrechnungswesen der Völker. Die Bearbeitung des Gegenstandes verlaugte also von selbst eine in Form und Inhalt neue Darstellung, und nur Jene Er- gebnisse wurden mit in den neuen Aufbau herübergenommen, welche im Fortschritte der Forschung noch unerschüttert gel)lieben sind.

IV Vorwort.

Das neue AVerk ist auf drei Bände bereclinet. Das Ziel der Darstellung ist wesentlich weiter gesteckt als bei Ideleks Handbuch, da nicht bloß auf die Zeitrechnung der A'ölker der klassischen Zeit nnd des christlichen Mittelalters Eücksicht genommen, sondern auch jene anderer Völker erörtert werden soll , soweit sich hinreichende Xachrichten hierüber vorfinden. Der vorliegende erste Band be- richtet vornehmlich über das Zeitrechnungswesen der Asiaten (mit Ausnahme der Juden, welche ein umfangreiches Kajiitel beanspruchen und einem der andern beiden Bände einverleibt werden müssen), und zw^ar der Babylonier, Mohammedaner (Araber und Türken), Perser, Inder, Chinesen und Japaner, sowie über die Zeitrechnungen in Hinter- indien und auf den südostasiatischen Inseln, endlich über jene der Ägypter und der einstigen Bewohner von Zentralamerika.

Zn diesem ersten Bande sind mir wohl einige Bemerkungen gestattet. Das Material, welches hier zur Verwendung kommt, über- Aviegt die Nachrichten der Klassiker gänzlicli, und letztere kiinnen nur hie und da ergänzend oder vergleichend gebraucht werden. Von den Ergebnissen, welche aus der neueren Erforschung der alten Kultur- stätten Asiens resultierten, ist eben auch ein reiches Maß von Erkenntnis für das Zeitreclinungswesen abgefallen. Es bietet sich uns da ein un- gemein reichhaltiges, auf die Denkmäler und Literaturreste jener alten Völker gegründetes archäologisches Material dar, dessen Beurteilung, Aveil es bei den einzelnen Völkern in verschiedener Eigenart auftritt und Aveil mitunter auch die archäologische Führung in Unsicherheit gerät, schA\1erig ist, doppelt scliwierig aber für den Astronomen, der dieses Material verarbeiten soll. Die Kenntnis der Sprachen der in Betracht kommenden Völker , welche man vielleicht als notwendig anzunehmen geneigt sein wird, hätte allein keine Sicherung gegeben. Denn abgesehen davon , daß ihrer vierzehn für den vorliegenden Band erforderlich gewesen wären eine Kenntnis, die man dem Bearbeiter kaum zumuten darf muß daran erinnert werden, daß auch die Kenner der Sprachen sich betreffs des Zustandes mancher Zeitrechnungs- arten in bedeutendem Zweifel befinden. Ich verweise auf die Zeit- rechnung in Arabien vor dem Aufkommen des Islam, über welche nur einander A\idersprecliende Nachrichten sjjäterer Schriftsteller und un- zureichende Andeutungen aus der altarabischen Poesie vorliegen : oder ich erinnere den Leser an die AMdersprüche, in denen sich die Kenner der ägyptischen Sprache bei vielen Gegenständen befinden, die sich auf das Kalenderwesen der Ägypter beziehen. Der astronomische Bearbeiter, A\elcher das vielgestaltige archäologische Material in Be- ziehung auf das ZeitrechnungSAxesen zu untersuchen, d. h. im letzten Grunde auf den Zusammenlianf;' mit den astronomischen Tatsachen zu prüfen liaf. tut vielmehr am besten, sich auf die als zuverlässig

Vorwort. V

geltenden Fachmänner der betreffenden Sprachgebiete und auf die von diesen gemachten Vorarbeiten zu stützen. (Tlücklicherweise ist gegen- wärtig bereits ein großer Teil der in Betracht kommenden Quellen, aus welchen man Belehrung über das Zeitrechnungswesen der Orientalen holen kann, in die europäischen Hauptsprachen übersetzt, also der Allgemeinheit zugänglich. Dieses ist der Fall bei den Hauptwerken der Inder über Astronomie und Zeitrechnung; auch der größere Teil der vedischen Schriften des alten Indiens und der heiligen Büclier der Parstoliteratur ist leicht lesbar geworden. Unter den modernen Schriftstellern über indische und altpersische Zeitrechnung befinden sich auch schon Eingeborene, deren Beiträge von ^^'ert sind. \'on großer Bedeutung für das gesamte ältere Zeitrechnungswesen sind die Hauptwerke des Arabers Albiefxi, welche uns durch E. Sachaf zugänglich gemacht worden sind. Der Aufhellung bedürftig bleibt derzeit noch die geschichtliche Entwicklung der Zeitrechnung im alten (.'hina und Japan und im alten Arabien, über welche noch wenig verläßliches Material vorliegt. Ziemlich befriedigend ist unsere Kenntnis der Zeitrech- nungsart der früheren zivilisierten Bewohner Zentralamerikas, dagegen müssen wir uns betreffs Hinterindiens und der Zeitrechnung auf den südasiatischen Inseln, in Polynesien u. s. w. hauptsächlich auf die Eeisewerke und die zerstreute Eeiseliteratur verlassen. Für Baby- lonien und Ägypten liegt reiches Material vor durch das Inschriften- material auf den Tontafeln und den altägyptischen Altertümern. Ich muß hier aber gleich bemerken, daß das Kapitel der Zeitrechnung der Ägypter das schwierigste des Buches war, und daß sich dort die Forderung, eine abgerundete Darstellung des Gegenstandes zu erzielen, schwer erfüllen ließ, da sowohl die Übersetzungen der Inschriften wie ihre Interpretation sehr häufig noch einander sehr widerstreitenden Meinungen unterliegen. Ich hatte mich bei diesem Kapitel anfänglich hauptsächlich au die Arbeiten von H. Bkugsch, wohl des besten Kenners des äg3'ptischen Kalendermaterials, gehalten, und das Kapitel in dieser '.Testalt hatte auch den Beifall des Wiener Ägyptologen J. Keall gefunden. In neuerer Zeit sind aber Zweifel an der Eichtigkeit der Deutungen von Beugsch, und noch mehr seiner Übersetzungen, laut geworden. Wegen dieser Bedenklichkeit habe ich deshalb Herrn Prof. H. ScHÄFEE (vom ägyptischen Museum in Berlin) zu Eate ge- zogen. Derselbe riet mir, von jenen Übersetzungen, als unsicher, möglichst wenig (jebrauch zu machen: mit seiner Hilfe habe ich dann den größten Teil des Kapitels in diesem Sinne umgearbeitet. Vielleicht darf ich hoffen, daß meine Darstellung der ägyptischen Zeitrechnung einen Ägyptologen, der mit dem einschlägigen Material vertraut ist und sich auch einige astronomische Kenntnisse an- eignet, dazu ermuntert, eine kritische Eevision der Arbeiten von

VI ^\lr\vol•t.

Bevgsch, soweit selbe auf die Zeitrechnung Bezieliung haben, zu versuchen.

A\'as weiter die Form der Darstellung- des Buches l)etrittt, so habe ich mich bemüht, dieselbe dem Zwecke eines ,. Handbuchs" ent- sprechend so zu gestalten , daß der Leser schnelle Auskunft über die einzelnen Gegenstände erhalten soll. Die Auseinandersetzungen sind deshalb kurz gehalten, und ich war. so gut es sich tun ließ, darauf bedacht, dabei das als verläßlich geltende Material zu verwenden. Der ganze Stoff des Buches wurde nach einzelnen Paragraphen be- handelt, um dem Leser eine leichte Übersicht darbieten zu können: dem Buche wurde außerdem ein Register beigegeben; ich hoffe darum, daß eine schnelle Orientierung möglich sein wird. Betreffs der Dar- stellung der verschiedenen Ansichten und Hypothesen über einzelne Zeitrechnungsarten konnte ich nur jene aufnehmen, welche seit Idelek entstanden sind; das Buch schließt sich also in dieser Beziehung an den alten ..Ideler" an, und die früheren Ansichten wird man in letzterem nachzusehen haben. Der Inhalt des Buches erstreckt sich wie bei Idelek sowohl auf die geschichtliche Entwicklung der Zeit- rechnungsformen, wie auf die praktischen Aufgaben der technischen Chronologie (Verwandlung gegebener Daten einer Zeitrechnung in die einer anderen u. dgl). Gern hätte ich die Details in der Zeitrechnung der Inder und der Chinesen noch Aveiter ausgeführt, mußte mich aber, da das Buch trotz Ausscheidung manchen Materials über den geplanten Umfang hinaus Avuchs, auf das Notwendige beschränken. Das über beide Zeitrechnungen Gesagte Avird aber genügen, um einen hin- reichenden Einblick in die Konstruktion der indischen und chinesischen Kalender zu gewähren. Für Detailstudien ist die den einzelnen Kapiteln angehängte Literatur bestimmt. Dieselbe besteht (mit wenigen Ausnahmen) nur aus solchen Quellen, die ich behufs Abfassung des Buches selbst benützt, durchstudiert oder irgend zu Rate gezogen habe. Die während der Herstellung des vorliegenden Handbuchs bis zum Abschluß desselben noch erscheinende Literatur wird in Form eines Nachtrags einem der späteren Bände einverleibt werden.

In den Rahmen des ..Handbuchs" wurde nicht bloß das geordnete Kai ender wesen der Kulturvölker, sondern auch die primitive Zeit- einteilung mancher auf tiefer Zivilisationsstufe stehenden Nationen einbezogen. Dies geschah mit Absicht, um die Schwierigkeiten an- schaulich zu machen, welche der Mensch überwinden mußte, ehe er von den einfachsten Zeitbegriffen zu einem Kalender gelangt ist. Es scheint, daß diese Schwierigkeiten, besonders Avas die Bestimmung der Länge des Sonnenjahres, oder den Übergang vom Mondjahr zum Sonnenjahr (hirch Schaltungen betrifft, recht oft unterschätzt werden, da sonst Voraussetzunoen wie die eines vollkommen bekannten Jahres

Vorwort. \ II

S(.-lioii für die älteste Zeit der Kultiirvrdker (Ägypter u. a.) nicht hätten gemacht werden können. Ich habe in den einzelnen Kapiteln, wie der Leser bemerken wird, anch auf diejenigen Einrichtungen der Zeitrechnung geachtet, welche in derselben Weise bei verschiedenen Völkern vorkommen, welche also entweder gemeinsamen älteren Ur- sprungs sind oder doch auf solchen hinzuweisen scheinen. Die Hervor- hebung dieses Entwicklungsgedankens konnte selbstverständlich nur skizzenhaft und mit A'orsicht geschehen. Das Gemeinsame näher zu präzisieren, durch genügendes Material zu begründen, ist Sache der zukünftigen Forschung. Vielleicht führt dieser (^edanke einst zu einer vergleichenden Chronologie.

Da das vorliegende Handbuch für Historiker, Chronologen und Archäologen, aber auch für Astronomen und andere Interessenten, also für weitere Leserkreise bestimmt sein soll, habe ich getrachtet, die Darstellungsform hinreichend verständlich zu halten. Die drei dem eigentlichen Zeitreclmungsw^esen vorangehenden Vorkapitel dürften des- halb gerechtfertigt sein. Der Leser wird ferner unter den An- merkungen im Buche einige finden, die ihm vielleicht geläufig und. selbstverständlich, für andere aber erwünscht sind. Die Historiker, Avelche die Schwierigkeiten meiner Aufgabe kennen und darum wohl auch die aufgewendete Mühe zu würdigen wissen werden, bitte ich noch um Nachsicht, wenn ich in meinen Ausführungen hier und da etwas übersehen haben sollte. Ergänzende Bemerkungen zu einzelnen Kapiteln, W' eiche für notwendig gehalten und mir angezeigt werden, sollen als Nachträge in den beiden folgenden Bänden Platz finden.

Es erübrigt mir noch, meinen besten Dank allen jenen Herren abzustatten, welche mir bei der Abfassung dieses ersten Bandes des Handbuchs ihre Beihilfe, sei es durch Ratschläge oder Mitteilungen u.s. w. gütigst gewährt haben; besonders bin ich Dank schuldig den Herren Professoren W. Grübe, F. Kielhoen, C. F. Lehmann, Gustav Oppekt, H. ScHÄFEK und E. Selee. Ferner danke ich Herrn Prof. H. Jacobi für die Erlaubnis, seine Tafeln zur indischen Zeitrechnung in mein Buch aufnehmen zu dürfen, sowie meinem langjährigen früheren Kollegen Dr. R. Schea.m für die Bereitwilligkeit , mit welcher er mir ge- stattet hat, das Manuskript seiner neuen, in Vorbereitung befindlichen chronologischen Tafeln für die Beispiele im Buche zu benützen.

Berlin, im April 1906.

Der Verfasser.

Inhaltsverzeichnis.

Seite

Eiiileitiiiig.

i? 1. A'^orbemerkuiig 3

A) Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.

§ 2. Vorbegriffo 4

§ 3. Die vier Koordinatensysteme 6

§ 4. Geographische Länge und Breite. Reduktion der Zeit 9

§ 5. Die Bewegung der Sonne in der Ekliptik. Jahreszeiten. Die Arten

der Zeit 12

§ 6. Täglicher und jährlicher Auf- und Untergang der Grestirne .... 18 § 7. Die Sternbilder. Veränderungen der Fundamentalebenen. Wirkungen

der Präzession 27

§ 8. Sonnen- und Mondbewegung. Sonnen- und Mondjahr 31

§ 9. Sonnen- und Mondfinsternisse 39

§ 10. Die Planetenerscheinungen. Sonstige für die Chronologie bemerkens- werte Phänomene 43

B) Hilfsmittel der Chronologie.

§ 11. Allgemeine Bemerkungen über die Hilfe der Astronomie 47

§ 12. Spezielle astronomische Hilfsmittel 50

§ 13. Chronologische Hilfsmittel. Archäologische Grundlagen 54

C) Die Zeitelemente und ihre historische Entwicklung.

§ 14. Die primitiven Zeitbegrifte 58

§ 15. Mond- und Sonuenjahr. Ausgleichung. Schaltjahr. Kundjahr ... 62

§ 16. Die Mondstationen 70

S 17. Der Zodiakus 78

§ 18. Aren. Zyklen. Jahres-, Monats- und Tagesteilung 88

§ 19. Julianisches und gregorianisches Jahr. Julianische Periode. Lage des

Frühlingspunktes im julianischen Jahre 97

§ 20. Literatur zu C . . . ' 102

Zeitrechnung der einzelnen Yölker.

I. Kapitel. Zeitrechnung der Babylonier.

§ 21. Vorbemerkung 107

§ 22. Die hauptsächlichsten in Betracht kommenden Kulturmomente der

Babylonier 109

Inhaltsverzeichnis. IX

Seit©

§ 23. Monate 113

t? 24. Monatseinteilung, Wochen (hamustu), Tageseinteilung und Tagesanfang 118

§ 25. Sonnen- und Mondjahr. Perioden 124

§ 26. Schaltung 130

§ 27. Die seleukidische Ära {y.axa XuXSaiov?) und die Arsakiden-Ara . . . 136

tj 28. Der Kanon des Ptolemäus und die Eponyni.i'nlisten 138

§ 29. Die Ära Nabonassar und die philippische Ära 14.^

§ 30. Literatur , 147

IL Kapitel. Zeitrechnung der Ägypter.

§ 31. Astronomie. Quellen für das Kalenderweseu 150

§ 32. Der Nil in seiner Beziehung zur ägyptischen Zeitrechnung . . . . 154

§ 33. Monate, Jahreszeiten, veränderte Bedeutung der Zeichen der letzteren 156

§ 34. Tageseinteilung und Tagesanfang 160

§ 35. Dekaden (Wochen) und Dekane 165

§ 36. Mondtage. Das hypothetische Mondjahr und Rundjahr. DieEpagomenen 166

§ 37. Bezeichnung des Jahres und der Mond- und Sonnenstände 172

§ 38. Große Jahresperioden der Ägypter

a) Periode von 365 Jahren 174

b) Han- oder Henti-Periode 174

c) Sed- (oder Set-( Periode 175

d) Großes und kleines Jahr 176

e) Phönixperiode 177

f) Apisperiode 180

§ 39. Die heliakischen Siriusaufgänge 181

§ 40. Die Sothisperiode. Apokatastasen. Siriusdaten 187

§ 41. Das tanitische Jahr (^Dekret von Kanopus) 196

§ 42. Der Doppelkalender des Papyrus Ebers 20O

§ 43. Die Feste und ihre Bedeutung für die ägyptische Zeitrechnung . . . 203

§ 44. Theo.rie des ägyptischen Jahres 212

§ 45. Die Ären. Die angebliche Ära Nubti. Die alexandrinische Ära (anni

Augustorum). .. Die diokletiauische und Märtyrerära 222

§ 46. Indiktiouen in Ägypten 232

§ 47. Literatur 234

III. Kapitel.

Zeitrechnung der Mohammedaner

(Araber und Türken).

§ 48. Vorbemerkung 238

A. Die vorislamische Zeitrechnung.

§ 49. Neuere und alte Namen der Monate 239

§ 50. Jahreszeiten. Wochen. Zählung nach Nächten 241

§ 51. Die heiligen Monate. Die Nasaa 24ä

§ 52. Hypothesen über das altarabische Jahr 247

§ 53. Epochen der alten Araber 251

B. Die mohammedanische Zeitrechnung.

§ 54. Mondmonate 252

§ 55. Der 30jährige und der 8jährige Zyklus 254

§ 56. Tagesanfang. Tagesteilung. Wochen 25&

§ 57. Epoche der Hidschra. Reduktion von Daten 258

§ 58. Fremde von den Mohammedanern gebrauchte Ären, Sonnenjahre . . 263

§ 59. Beschreibung eines Rus-name 266

§ 60. Die Feste der Mohammedaner 271

§ 61. Literatur 273

Ginzel, Chronologie I. D

X Inhaltsverzeichnis.

Seite

IV. Kapitel. Zeitrechnung' der Perser.

§ 62. Vorbemerkung 275

§ 63. Die ältesten Namen der Monate (Inschrift von Behistän) 275

§ 64. Die alt- und neupersischen Monatsnamen 2,77

§ 65. Die Monatstage, Jahreszeiten und die (Tahanbär 280

§ 66. Epagomenen, Tagesanfang, Tagesteilung, Feste 287

§ 67. Das persisch»! Jahr nach den alten Autoren 290

§ 68. Hypothesen über die Einrichtung des altpersischen Jahres 293

§ 69. Die Ära Jezdegerd 298

§ 70. Die Ära..Dscheläleddin 300

§ 71. Andere Aren in Persien. Monate und Tage in Sogd und Khwärizmieu 305

§ 72. Literatur 308

V. Kapitel. Zeitrechnung der Inder.

§ 73. Vorbemerkung 310

A. Zeitrechnung der Veda.

§ 74. Das vedische Jahr 311

§ 75. Jahreszeiten 314

§ 76. Monate und Tagesteilung 316

§ 77. Die Nakshatra 317

B. Zeitrechnung der nachvedischen Periode.

§ 78. Die Jahresarten 320

§ 79. Monats- und Tagesteilung 324

§ 80. Nakshatra 327

§ 81. Zodiakus, kalpa, yuga 329

C. Zeitrechnung der Siddhänta.

§ 82. Die vier Siddhänta 330

§ 83. Die späteren Werke 333

D. Technische Chronologie des indischen Kalenders.

§ 84. Hauptmeridian 336

§ 85. Die großen yuga. Epoche des Kaliyuga 337

§ 86. Zodiakus, Monatsnamen, Wochentage und Tagesteihmg 338

§ 87. Sonnenjahr. Elemente desselben, Länge der Sonnenmonate, Ahargana,

Sanikranti, Jahreszeiten 341

§ 88. Beginn der Sonnenmonate 346

§ 89. Mondmonat 347

§ 90. Die tithi 348

§ 91. Das Lunisolarjahr 350

§ 92. Ermittlung der tithi und paksha eines gegebenen Datums und um- gekehrt. Nachprüfung für ein- und ausgeschaltete Monate .... 353

§ 93. .Jahresbeginn. Vollendetes und laufendes Jahr 357

§ 94. Karaiia und Yoga. Lagna 359

§ 95. Nakshatra und Finsternisse 363

§ 96. Der 60jährige und der 12jährige Jupiterzyklus 368

§ 97. Religi.öse Feste und l)Csondere tithi 376

E. Die Aren der indischen Zeitrechnung.

§ 98. A'orbemerkung 380

a) Die Aren in Nordindien.

§ 99. Die Ära Sap.tarshi-Käla 382

§ 100. Die Newär-Ära 384

§ 101. Die (iu])ta-Ära 384

§ 102. Die Srillarsha-Ära 387

§ 103. Die. Ära des Vikramäditya 387

b) Ären in Zentralindien.

§ 104. Die Saka-Ära 390

§ 105. Die Cbälukya-Vikrama-Ära 391

§

106.

4?

107.

§

108.

§

109.

§

110.

§

111.

§

112.

§

113.

§

114.

§

115.

§

116.

§

117.

Inhaltsverzeichnis. XI

Seite

Die Chrdi- oder KalaHiuri-Ara 392

Die Lakshmaiia-Sena-Ara 392

Die Fasli-Jahre (Erntejahre), das Bengäli-^an, Viljiyati-Öan und das

Amli-Jahr 393

Die Ilähi- oder AUai-Ara, die Räjyäbhisheka Saka und das Shahur-San 390

Die.Simha-Ara 396

c) Aren in Sud- und Hinterindien.

Die Kollam-Ara 396

Die burmesische Ära 397

d) Die liuddhistischc Ära, das Kaliyuga, Graha-parivritti und der Oiiko-Zyklus. ..

Das Nirvaiia (buddhistische Ära"» 398

Das Kaliyuga 399

Das Graha-parivritti 399

Der Oiiko-Zvklus 400

Literatur . " 400

VI. Kapitel.

Zeitrecliniing einiger südostasiatisclier Völker

und der Zentralamerikaner.

§ 118. Zeitrechnung in Tibet 403

§ 119. Zeitrechnung in Siam und Kambodja 409

§ 120. Zeitrechnung auf Java 414

§ 121. Zeitrechnung in Inner- Java, auf Bali, Sumatra, Timor, Melanesien

und Nikobar 422

§ 122. Zeitrechnung der zentralamerikanischen Völker 433

§ 123. Literatur 44«

VII. Kapitel. Zeitrechnung der Chinesen und Japaner.

§ 124. Vorbemerkung 450

§ 125. Der Sexagesimalzyklus 450

§ 126. Die Monate . . '. 454

§ 127. Der 60tägige Zyklus. Reduktion zyklischer Daten. Die 7tägige

Woche 457

§ 128. Tagesaufang und Tageseinteilung 464

§ 129. Jahresabschnitte und Jahreszeiten. Zodiakalzeichen 467

§ 130. Bürgerliches Jahr (Lunisolarjahr). Konstruktion des chinesisch- japanischen Kalenders 471

§ 131. Zählung der Jahre. Zyklusjahre, Kaiserjahre, Regierungsprädikate.

Nengo. Ära Nino. Datierungsweise 479

§ 132. Chinesische und japanische Feste 483

§ 133. Mondstationen. Wahlzyklus. Die Perioden tschang, pu, ki ... 487

§ 134. Bemerkungen zur Geschichte des chinesisch-japanischen Kalenders . 492

§ 135. Literatur 497

Anhang.

§ 136. Die Zeitrechnung der alttürkischen Inschriften 499

I. Verzeichnis der chinesischen Kaiser, der Regierungszeiten, der miao-hao

und nien-hao 505

IL Verzeichnis der japanischen nengö 532

III. Charaktere der hauptsächlichsten chinesischen Namen des VII. Kapitels 538

b*

XII Inhaltsverzeichnis.

Seite

I. Tafel der Positionen der 26 hellsten Sterne des Nordhimmels .... 543^

II. Tafel der Halbetagbogen 546

III. Tafel der Neumonde von 605 bis 100 v. Chr 547

IV. Jacobis Tafeln zvir Zeitrechnung der Inder 563

Eegister 575

Zusätze und Berichtigungen,

ad S. 208 Anm. 1. Zitat nach der Manitius- Ausgabe.

ad S. 231 Z. 21 v. o. Das dort gegebene Beispiel so]l nur als Illvistration zur Verwandlung des Datums der Diokletianischen Ära dienen. Der angeb- liche Brief des Ämbrosius ist unecht, und die Angabe, Ostern sei am 23. April gefeiert worden, zweifelhaft; nur nach der Osterrechnung des alexandrinischen Zyklus fiel Ostern auf den 23. April; s. E. Schwaetz, Christliche h. jüdische Ostertafeln, S. 54. 55 {Ahhandlg. d. Königl. Ges. d. Wiss. z. Göttingen, phil. bist. Kl., N. F., VIII No. 6 [1905]).

ad S. 402 Zu den Tafeln kann noch hinzugefügt werden Cowasjee Patell, Oirono- logy containing corresp. dates of tlie difj'erent eras used hy Christ., Jeios, Greeks, Hindus etc. London 1866.

ad S. 444 Z. 12 v. o. zu lesen , Bienenzüchter" statt „Bienenpächter".

ad S. 547 Tafel III (Neumondtafel). Handelt es sich nur um die näherungs- weise Kenntnis der Zeit der Neumonde, so kann man die Neumondreihe benützen, welche von 1622 v. Chr. bis 1934 n. Chr. im II. Bd. (Astron. Appendix) von H. Grattan Guinness, Creation centred in Christ, London 1896, gegeben ist. Da diese Neumonde nur mit Hilfe einer verbesserten Periode berechnet sind, weichen sie von jenen der Taf. III bald im positiven, bald im negativen Sinne, u. z. um V ^ bis 3 Stunden ab.

Einleitung:.

Ginzel, Chronologie I.

§ 1. A'orbemerkuug.

Um größere Zeiträume messen d. h. die zeitliche Folge des Ge- schelienen im Leben des einzelnen oder der Gesamtheit der Menschen bestimmen zu können, bedarf man eines möglichst unveränderlichen Maßes. Dieses Maß bieten einzelne Himmelskörper durch ihre ewig ge- setzmäßige Bewegung und durch ihre nach Perioden wiederkehrenden Erscheinungsformen. Insbesondere sind es die Sonne und der Mond, welche schon in frühester Zeit der Kulturentwicklung der Menschheit als die natürlichen Zeitmesser angesehen worden sind, da die Sonne durch ihren scheinbaren Umlauf die Jahreszeiten und das Jahr, und der Mond durch seine wechselnden Lichtgestalten die nächst kleineren Zeiträume, die Monate, abmißt. Um aber ein sich bewegendes Himmelsobjekt als Zeitmesser benützen d. h. angeben zu können, wievielmal ge'VN^sse Perioden seiner Bewegung in gegebenen Zeit- räumen enthalten sind, mußte man eine klare Vorstellung von der Art der Bewegungen der Sonne und des Mondes zu erlangen suchen. Auf diese Weise wurde die Menschheit zur Beobachtung des Himmels geführt, und die Astronomie verdankt zum guten Teile jener Not- wendigkeit der Zeitmessung ihren Ursprung. Das Ergebnis der Be- obachtungen der Sonne und des Mondes waren die Jahrformen, welche von den einzelnen Nationen, je nach dem Grade der Erkenntnis und je nach Entwicklungsbedinguugen, die in dem Werden der Völker mit- spielten, mehr oder minder übereinstimmend oder abweichend aus- gestaltet wurden. Die Lehi'e von der Beschaffenheit der verschiedenen Jahrformen und von den inneren Einrichtungen des Jahres bei den einzelnen Völkern heißt die technische Chronologie. Unsere Kenntnis derselben beruht gegenwärtig hauptsächlich auf den Denk- mälern, dem archäologischen und inschriftlichen Material, das uns jene Völker aus verschiedenen Kulturepochen hinterlassen haben; daneben kommt ihre Nationalliteratur in Betracht. Die Nachrichten, welche die klassischen Schriftsteller darbieten, und auf die man sich früher haupt- sächlich stützen mußte, sind größernteils in die zweite Linie zurück- getreten. Bei der Sichtung und Kritik jenes Materials leistet die rechnende Astronomie oft Beihilfe, indem sie die jMittel zur Beurteilung

1*

4 Astronomische Begriffe der teclinischen Chronologie.

der Tradition herbeischafft. Unter m a t h e m a t i s c h e r C h r o n o 1 o g i e versteht man vorzugsweise die astronomischen Lehren von den Be- wegungen der Sonne und des Mondes, inwieweit sie mit dem Zeit- rechnungswesen in Verbindung sind; im engeren Sinn aber besonders die Anwendung der Mathematik auf die Ergebnisse der technischen Chronologie, wie die Herst elhmg von Formeln zur Verwandlung ge- gebener Daten einer Zeitrechnungsform in Daten einer anderen u. dgl. Bei dem gegenwärtigen Stande der Verhältnisse hat diese Disziplin weit weniger Interesse füi- den Historiker als früher, und es wird deshalb im vorliegenden Werke überwiegend die technische Chronologie behandelt werdend

Den eben gemachten Andeutungen entsprechend tritt die Not- wendigkeit einer Einleitung hervor, welche auf die technische Chronologie der einzelnen Völker vorbereitet. Ich zerfalle dieselbe in drei Kapitel. Das erste Kapitel der Einleitung gibt eine Definition der astronomischen Begriffe und technischen Ausdrücke, soweit solche in der technischen Chronologie vorkommen. Das zweite bespricht die Hilfsmittel, mit denen die moderne Chronologie arbeitet, und zwar die astronomischen und die archäologisch-historischen. Das dritte, welches man einen Versuch oder Abriß vergleichender Chronologie nennen kann, hebt die Haupt-Zeitelemente besonders hervor, w^ eiche den Zeitrechnungsformen gemeinsam sind, und sucht deren Entstehung, soweit der Stand der Forschung dies zuläßt, zurück zu verfolgen.

A) Astronomische Begriffe der technischen Chronologie.

§ 2. Yorjjegriffe.

Der gestirnte Himmel erscheint uns überall, wohin wir uns an der Erdoberfläche begeben, als Kugel und zwar als Halbkugel, indem wir immer nur den Teil des Himmels sehen können, welcher über unserm jeweiligen Horizonte liegt. Denken wir uns in irgend einem Standpunkte an der Erdoberfläche eine horizontale Linie markiert

1) Der '■J'itel , Handbuch der math. u. technischen Chronol." dieses Werkes •wurde nur nnit Rücksicht auf das gleichnamige Werk von Ideleh, dessen Ziele dem Verfasser vorschwebten, beibehalten. Die mathematische Chronologie hat aus dem Grunde an Interesse für den Historiker verloren, weil gegenwärtig für die meisten Zeitrechnungsarten ausgedehnte Tafeln vorhanden sind, nach denen man fast ohne Rechnung die Daten einer Zeitrechnung in diejenigen einer anderen verwandeln kann, ohne daß ein Zurückgehen auf die Formeln der Astronomen notwendig wird. Desgleichen sind die anderweitigen astronomischen Hilfsmittel vereinfacht und be- quemer eingerichtet worden, so daß die mathematischen Vorschriften sehr zurück- treten und der Historiker meist ohne besondere mathematische Kenntnisse jene Hilfsmitt(!l benützen kann.

§ •_>. Vorb.'-rirtV. 5

(z. B. mit Hilfe der Wasseiwage) und auf derselben eine Senkrechte errichtet, bis diese die scheinbare Himmelskugel in einem Punkte trifft, so heißt letzterer Punkt Z das Zenit (oder der Scheitelpunkt) unseres Standortes; die Verlänoerung- dieser Linie führt durch den Erd- mittelpunkt 0 (s. Fig-. 1). Die durch die Horizontale gelegte Ebene heißt die Ebene des scheinbaren Horizontes und die zu ihr parallele, aber durch das Erdenzentrum 0 gehende Ebene der wahre Horizont (HT). Jeder Ort auf der Erde hat also sein eigenes besonderes Zenit und seinen besonderen wahren Horizont. Der dem Zenit entgegen-

gesetzt liegende Punkt Z' der Senkrechten, welcher also auf der für uns unsichtbaren Himmelshalbkugel liegt, heißt das Nadir (der Fußpunktj. Vermöge der Bewegung der Erde um sich selbst scheint sich der Sternhimmel von Ost nach West zu bewegen, und zwar ergibt eine aufmerksame Betrachtung, daß nur ein Teil der Sterne über dem Horizonte auf- und untergeht, andere dagegen die ganze Nacht über dem Horizonte bleiben und sich nm' sehr langsam fortbewegen; an einem bestimmten Punkte des Himmels scheint überhaupt kein Umschwung des Himmels stattzufinden. Dieser letztere Punkt P, um welchen die ihm nahen Sterne ihre Kreise nur langsam durchwandern, heißt auf unserer Nordhalbkugel der Nordpol des Himmels, der ihm ent-

6 Astronomische Begrifte der technischen Chronologie.

gegengesetzte der Südpol; beide Pole lieißen die H i m m e 1 s p o 1 e ; sie müssen, wie bei der großen Entfernung der Sterne von der Erde im Ver- hältnis zum Erddurchmesser begreiflich, beide in der Verlängerung der Erdachse liegen. Um diese Weltachse (verlängerte Erdachse) PP' bewegen sich die Sterne in Kreisebenen, welche auf der Weltachse senkrecht stehen; diese Ki'eise heißen Parallelkreise (z. B. GG). Der größte der Parallelkreise wird jener sein, der durch den Erd- mittelpunkt geht; dieser Parallelkreis AQ, welcher die Himmels- sphäre in zwei gleich große Halbkugeln teilt, ist der Äquator. Wenn wir durch die Weltachse verschiedene Ebenen legen, welche die Himmelskugel in größten Kreisen schneiden, so heißen diese die Meridiane des Himmels; sie gehen durch die Pole PP' und stehen alle senkrecht auf der Äquatorebene. Die Meridianebene, welche durch einen gegebenen Ort der Erdoberfläche geht, der Meridian des Ortes (Mittagskreis), enthält die Weltpole, das Zenit und Nadir, und schneidet die Horizontebene in einer Geraden, der Mittagslinie. Für den Ort 0 ist der Halbkreis TPZH der Meridian, HOT die Mittags- linie. Ein Stern, welcher einen Parallelkreis LL' beschreibt, muß notwendigerweise den Meridian des Ortes in einem Punkte L treffen; man sagt dann, der Stern kulminiert. Die Zeiten zwischen dem Aufgange und der Kulmination resp. dem Untergange sind einander gleich, d. h. die Halbetag-Bogen «L und ßh werden durch den Kul- minationspunkt gleich groß. Liegt die Kulmination auf dem Teile des Meridians, welcher den sichtbaren Pol und das Zenit enthält, so ist dies die obere Kulmination des Sterns (auf dem Bogen TZP); die untere Kulmination liegt auf dem Ergänzungsbogen PH. Der Bogen PH zwischen dem Pol und der jeweiligen Horizontebene ist die P 0 1 h ö h e (oder geogr. Breite (f des betr. Ortes). Von denjenigen Sternen, deren Polabstand PG, PG' kleiner ist als PH, werden wir beide Kulminationen beobachten können; solche Sterne die also immer über dem Horizonte sind heißen Circumpolarsterne; ist der Polabstaud der Sterne beträchtlich, so daß ihr Parallelkreis die Horizontebene schneidet, wie bei LL', so kann an dem Orte nur eine Kulmination des Sterns gesehen werden.

§ 3. Die vier Koordinatensysteme.

Mittelst der Ebene des Horizontes und mit dem Zenit läßt sich die Lage eines Gestirns gegen einen Ort der Erde folgenderweise angeben. Die Sterne erscheinen mehr oder weniger hoch über dem Horizonte. Ein durch den Stern parallel zum Horizont gelegter Kreis heißt Horizon- talkreis oder Almukantarat (NN'). Man legt durch den Stern M und durch das Zenit Z einen größten Kreis ZRR', welcher auf

§ 3. Die vier Koordinatensysteme. 7

dem Horizonte (und dem Almukantarat) senkrecht stehen wird; ein solcher Kreis heißt Vertikal- oder Höhen kreis. Der Bogen RM zwischen dem Gestirn und dem Horizont ist die Höhe, und der Horizontbogen Tli'HR, nämlich vom Südpunkte T der Mittagslinie über Westen (R'), den Nordpunkte (H) bis zum Fußpunkte R gezählt, ist das Azimut des Sterns ^ Das Azimut stellt also den Winkel vor, welcher zwischen dem Meridiane und dem Höhenkreise irgend eines Sterns enthalten ist. Die Ergänzung der Höhe des Gestirns zu 900 iieißt die Zenitdi stanz (MZ).

Der Horizont ändert vermöge der Achsendrehung der Erde fort- während seine Lage gegen die Gestirne, resp. Azimute und Höhen der letzteren variieren. Dagegen bleiben die Abstände der Gestirne vom Äquator die gleichen, da sie über und unter demselben Parallel- kreise (GG) beschreiben. Legen wir durch die "\^>ltpole und das Gestirn eine Ebene PMP', so steht dieselbe senkrecht auf dem Äquator AQ. Der Bogen MM' zwischen dem Gestirn und dem Äquator ist die Deklination (Abweichung) des Gestirns; sie wird positiv für die nördliche Stellung der Sterne vom Äquator, negativ für südliche Stellung genommen. Die Deklination ergänzt sich durch die Pol- distanz PM zu 90^. Das Gestirn M vollführt in einem Tage auf dem durch M gehenden und auf der Achse PP' senkrechten Parallel- kreise HH' einen vollen Umlauf d. h. 360*^ in 24 Stunden; es nähert sich im Lauf des Tags dem Meridiane TZH und geht durch denselben hindurch. Der jeweilige Abstand des Deklinationskreises PMP' (auch Stundenkreis genannt) vom Meridiane heißt der Stundenwinkel des Gestirns. Derselbe ist Null, wenn das Gestirn den Meridian durch- schneidet. Der Stundenwinkel wird vom Meridiane aus gezählt über Osten nach Westen; er wird in Zeit- oder Bogenmaß ausgedrückt, Ih = 150^ auch als w^estlicher (positiver) und östlicher (negativer) Stundenwinkel unterschieden"-. Stundenwinkel und Deklination (resp. Poldistanz) eines Sterns bilden das zweite Koordinatensystem, durch welches die Lage des Sterns gegen die Erde angegeben werden kann.

Der Stundenwinkel dieses Systems ist, wie man sieht, nicht nur nach der Zeit veränderlich, sondern auch für einen jeden anderen Meridian der Erde verschieden, und zwar um die Differenz der Meri-

1) Das Azimut wird auch als östliches und westliches, von 0** bis 180<> gezählt, und zwar östlich negativ, westlich positiv.

2) Stunden, Minuten, Sekunden werden in der Astronomie mit den Buchstaben h, m, s bezeichnet, zum Unterschiede vom Bogenmaß, dessen Grade, Minuten, Sekunden mit °, ', ", bezeichnet werden. Für die fortwährend vorkommende Ver- wandlung beider Maße ineinander hat man

Ih = 150 p = 4ni

Im = 15' r =- 48

l8 = 15"-, 1"= 0,07«.

8 Astronomisclie Begriffe der technischen Chronologie.

diane, die zwischen den gegebenen Orten liegt. Die Deklination da- gegen ist eine für alle Erdorte konstante Koordinate. Man kann den Stunden Winkel durch eine unveränderliche Koordinate ersetzen, wenn man die Ekliptik einführt. Die Ekliptik (Sonnenbahn) ist der gi'ößte Kreis, den die Sonne im Laufe eines Jahres scheinbar um die Erde beschreibt; diese Bahn projiziert sich auf die Himmelshalbkugel als eine gegen den Äquator um 23V2^ geneigte Kurve EK, Avelche die Äquatorebene AQ in zwei einander gegenüber liegenden Punkten F und F' schneidet. Letztere Punkte erreicht die Sonne im Frühlinge (21. März) und Herbste (23. September); sie heißen Äquinoktial- punkte (Frühlings- und Herbstpunkt) ; Tag und Nacht sind zu jenen Zeiten gleich lang, daher die beiden Punkte auch Tag- und Nacht- gleichenpunkte genannt werden. Da die Lage des Frühlingspunktes innerhalb kleiner Zeiträume nahezu unveränderlich ist (die Bewegung desselben kann sehr genau in Rechnung gebracht werden), so kann man die Stundenkreise von diesem festen Punkte aus zählen. Die neue Koordinate, der Bogen des Äquators M'F, von West nach Ost, also der täglichen Bewegung entgegengesetzt gerechnet, heißt die Rektaszension (gerade Aufsteigung, Ascensio recta) des Sterns M. Rektaszension und Deklination bestimmen also die Lage eines Gestirns vollständig. Das auf sie gegründete Koordinatensystem verändert sich erst nach langen Zeiträumen. Um den Ort des Gestirns für eine be- stimmte Zeit angeben zu können, muß man noch den Stundenwinkel, den der Frühlingspunkt zur gegebenen Zeit gegen den Meridian macht, kennen. Dieser Stundenwinkel heißt die Sternzeit; wenn der Frühlingspunkt durch den Meridian eines Ortes geht, hat der Ort O'' Sternzeit. Die Rektaszension eines Sterns ist somit durch die Gleichung bestimmt: Sternzeit minus entsprechender Stunden winkel , oder: man findet den jeweiligen Stundenwinkel des Sterns, wenn man von der Ortssternzeit die Rektaszension des Sterns subtrahiert. Kolur- kreis heißt der durch die Punkte F und F gehende Stundenkreis, und zwar ist der erstere der Kolur der Tag- und Nachtgi eichen; der andere Kolur, um 90^ von jenem verschieden und den Solstitien oder AVende- punkten (am 22. Juni und 23. Dezember) entsprechend, ist der Kolur der Wendepunkte.

Das vierte Koordinatensystem beruht ebenfalls auf der Ekliptik. Die Pole BB' der Ekliptik stehen senkrecht auf der Ekliptik EK. Ein durch den Stern M und die Pole BB' gelegter größter Kreis, der Breitenkreis, steht senkrecht auf der Ekliptik, Der Bogen MM" zwischen dem Stern und der Ekliptik ist die Breite des Gestirns, positiv für die nördliche der beiden von der Ekliptik abgeschnittenen Hemisphären, negativ für die südliche. Der Ekliptikalbogen M"F vom Breitenkreise bis zum Frühlingspunkt, gezählt wie die Rektaszension

§ 4. Geogra])liisclie Länge und Breite. IJcduktidn der Zeit. 9

Über Osten, entgegengesetzt der täglichen BeAvegung des Himmels, ist die Länge des Sterns ^

Das wichtigste von diesen vier Koordinatensj'stemen ist für die praktische Astronomie das der Rektaszension und Deklination, da die Positionen der Gestirne vorzugsweise durch Rektaszension und Deklina- tion angegeben werden und weil die Einrichtung des größten Teils der Messungsinstrumente diese Koordinaten direkt oder indirekt liefert. In Länge und Breite werden hauptsächlich die aus der mathematischen Bewegungstheorie der Himmelskörper resultierenden Stelluugen der Ge- stirne, insbesondere jene der großen Planeten, ausgedrückt. Azimut und Höhe haben nur vereinzeltes Interesse für Beobachtung und Rechnung.

§ 4. Gleograpliische Länge und Breite. Reduktion der Zeit.

Wir haben oben gesehen, daß die Erdachse ein Teil der Welt- achse PP (s. Fig. 1) ist; setzen wir in den Mittelpunkt der Himmels- kugel also die Erde, so liegen die Endpunkte der Achse der Erde, der Nordpol und der Südpol, in der Weltachse; ebenso entsteht der Erdäquator durch den Durchschnitt des Himmelsäquators AQ mit der Erdkugel. Ebenen, die man durch verschiedene Orte der Erdoberfläche parallel zum Äquator legt, stehen auf der Erdachse senkrecht und ergeben parallele Kreislinien zum Äquator; sie heißen Breitenkreise. Denkt man sich irgend einen Ort eines Breiten- kreises mit dem Erdmittelpunkte verbunden, so heißt ,der Winkel, welcher zwischen dieser Verbindungslinie und der Äquatorebene ent- steht, die geographische Breite des Ortes. Sie ist gleich der Polhöhe HOP, und wird für Orte der nördlichen Erdhalbkugel positiv (nördliche Br.), für Orte der südlichen negativ (südliche Br.) und zwar von bis 90^ gezählt; 0" Breite entspricht den Orten am Äquator. Sämtliche Orte, die unter ein und demselben Parallelkreise liegen, haben dieselbe Breite. Legen wir durch die Erdachse eine Ebene, so entsteht durch den Schnitt der letzteren mit der Erdoberfläche ein größter Kreis, welcher durch die beiden Pole geht und zum Äquator senkrecht ist; er entspricht den Himmelsmeridianen PZT, PUP', und heißt wie diese der Meridian eines Ortes. Jeder Ort eines ge- gebenen Breitenkreises hat seinen eigenen Meridian, da sich durch alle Punkte dieses Kreises und durch die Pole solche Ebenen legen lassen. Wählt man, um den Abstand der Meridiane von einander bequem zählen zu können, einen Meridian für den Anfangspunkt der Zählung aus, so nennt man diesen Meridian den H a u p t - oder N u 1 1 - m e r i d i a n. Der Abstand irgend eines andern Meridians von dem Haupt-

1) Längen und Breiten der Gestirne sind also ganz zu unterscheiden von den Längen und Breiten (geographischen Koordinaten) der Erdorte.

10 Astronomisclie Begriffe der technischen Chronologie.

meridiane, von 0" bis 360" in östlicher Richtung um die Erde, oder von bis 1800 (oder bis 12'>) in westlicher und bis 180« resp. 12>^ in öst- licher Eichtung vom Hauptraeridiane gezählt, ist die geographische Länge des Meridians; alle Orte, die unter einem gegebenen Meri- diane liegen, haben die gleiche Länge gegen den Hauptmeridian. Als Hauptmeridiane haben diejenigen besondere Wichtigkeit, welche den Angaben der astronomischen Jahrbücher zugrunde liegen, und zwar die Meridiane von (jreenwich (wegen des Nautical Almanac), von Paris (wegen der Connaissance des temps), von Berlin (wegen des Berl. Astr. Jahrbuchs) und von Washington (wegen der American Ephemeris)^

Da die Sterne, wie schon gesagt wurde, Parallelkreise über dem Äquator, und zwar in der Richtung von Ost nach West während eines Tages zu beschreiben scheinen, so kann ein bestimmter Stern seine Kulmination d. h. seinen Durchgang durch die einzelnen Meridiane der Erdkugel nicht überall zu derselben Zeit erreichen. Wenn der Stern zu einer gewissen Zeit in dem Meridiane TZH, also für einen in dieser Linie gelegenen Erdort kulminiert hat, so wird er für einen Ort unter dem Meridiane PUP', westlich vom ersteren Meridian, später kulminieren, und zwar für je Längendifferenz der beiden Meridiane um 4"' später (um 24i': 360). Der Unterschied der geo- graphischen Längen eines gegebenen Meridians gegen einen Haupt- meridian gibt daher auch die Zeit an, um wieviel später oder früher die Kulmination der Gestirne in den einzelnen Meridianen erfolgt als im Hauptmeridian. Kulminiert z. B. ein Stern im Meridiane von Berlin an irgend einem Tage um 9'' 16" 0^ abends, so wird er für München, welches eine westliche Länge von P 47,2' oder 0'' 7'" O'^ gegen den Berliner Meridian hat, um letzteren Betrag später kulminieren.

Durch die Kulminationen der Sonne wird die Zeit bestimmt, mit der wir hauptsächlich rechnen, die für jeden einzelnen Meridian maß- gebende Ortszeit. Die vorgelegte Zeit eines Meridians durch die Zeit eines Hauptmeridians ausdrücken, heißt die Zeit reduzieren. Man hat bei der Reduktion nach folgender Regel vorzugehen: Liegt der gegebene Ort östlich vom Hauptmeridian, so hat man von der Zeit- angabe des Ortes die Längendifferenz zu subtrahieren, um die ent- sprechende Zeit des Hauptmeridians zu erhalten; und umgekehrt, ist eine westliche Zeitangabe auf den Hauptmeridian zu bringen, so wird man die Längendifferenz zu jener Zeitangabe addieren'-. Das Reduzieren

1) Der Meridian von Ferro, welcher 20** westl. Paris angenommen wird, hat bloß geographisches Interesse. Die Längen der obigen Hauptmeridiane gegen den von Berlin sind: Greenwich 0^ 53^ 35s westl., Paris 0^ 44™ 14» westl., Washington ßh Im 5i8 westl.

2) Die Reduktion betrift't nicht nur die Ortszeit (mittlere Zeit), sondern auch die wahre Zeit und die Sternzeit, die für bestimmte Meridiane etwa gegeben sind.

§ 4. Geographische Länge und Breite. Reduktion der Zeit. 11

ist für den Historiker insofern wichtig, da er leicht in die Lage kommen kann, astronomische Zeitangaben eines Ortes in die Zeiten eines anderen Ortes verwandeln zu müssen. Für die 7. Mondfinsternis des Almagest (Heibeeg I 329, 6) folgt z. B. das Rechnungsresultat: Mitte der Ver- finsterung 23** 28"' m. Zeit Babylon ; welche Zeit des Hauptmeridians Greenwich entspricht dieser Angabe? Da die Längendifferenz Greenwich- Babj^lon 2'' 58™ östlich ist, so hat man 2'' 58™ zu subtrahieren und erhält 20'' 80™ Greenwicher Zeit.

Aus diesen kurzen Darlegungen ersieht man, daß die richtig nach Ortszeit gehenden Uhren unter einem Meridian, der östlich von einem Hauptmeridian liegt, vorausgehen gegen diejenigen unter dem Hauptmeridiane, und die westlichen eines Meridians nachgehen gegen die Uhren des Hauptmeridians. Jemandem, der um die Erde beständig in der östlichen Richtung reist und seine Uhr nicht korrigiert, verkürzen sich die einzelnen Tage, da ihm die Sonne täglich früher aufzugehen scheint; da die Verkürzung für je 1^ Länge aber 4 Zeit- minuten beträgt, hat er nach der halben Reise um die Erde (180*^) schon einen halben Tag, und nach der Rückkehr an den Ausgangs- punkt einen ganzen Tag mehr im Datum. Bei entgegengesetzter west- licher Fahrt um die Erde verliert der Weltumsegler hingegen einen Tag'. Um diese Datumverschiebung zu vermeiden, wurde es bei den Seefahrern Gebrauch, bei westlicher Fahrt nach Überschreitung des 180^. V. Greenw. einen Tag in der Datumzählung auszulassen, dagegen bei der Reise von West nach Ost nach dem 180^. v. Greenw. einen Tag einzuschieben d. h. ein Datum zweimal zu zählen. Hieraus ist in Ost- asien die Da tum grenze entstanden, welche sich allerdings nicht genau an diese Regel anschließt; auf den ostasiatischen und austra- lischen Inseln wurde nämlich das Datum üblich, welches die Entdecker der Liseln auf ihrer Fahrt von Osten oder von Westen her in ihrer Datierung führten, wodurch im Laufe der geographischen Entdeckungen eine Grenzlinie entstand, jenseits welcher man die Datierung mit der europäischen übereinstimmend oder verschieden rechnete. Gegenwärtig geht die Datumgrenze (an welcher mit der Zeit Veränderungen ein- getreten sind) durch die Behringsstraße und läuft südwärts im Osten von Japan, den Marschallinseln, den Fidschiinseln und